Anlässlich des Gedenktages an den Genozid an Sinti und Roma am 02. August erklärt Tom Koenigs, Vorsitzender des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe:
Die Sinti und Roma sind Europas größte Minderheit. Sie werden nach wie vor ausgegrenzt und diskriminiert. Oft sind sie die Ärmsten der Armen, in Deutschland werden sie geschmäht als „Sozialtouristen“ und „Zigeuner“. Dabei ist Deutschlands historische Verantwortung gegenüber diesen Menschen groß, egal ob sie deutsche Staatsbürger, Zuwanderer aus EU Mitgliedstaaten oder Asylbewerber aus dem ehemaligen Jugoslawien sind. Daran soll uns dieser Tag erinnern.
500.000 Sinti und Roma wurden Opfer des Holocaust. Am 2. August 1944 ermordete die SS in den Gaskammern in Auschwitz 2900 Sinti und Roma, vor allem Kinder, ihre Mütter und alte Menschen. 3000 weitere Sinti und Roma wurden in andere Konzentrationslager verschleppt. Bis heute ist das Wissen über die Verfolgung und Ermordung von Sinti und Roma in Deutschland und Europa sehr begrenzt. Im Gegenteil, die Diskriminierung dieser Bevölkerungsgruppe dauert an.
Antiziganismus ist ein weit verbreitetes Phänomen. Fast die Hälfte der Deutschen denkt, dass Sinti und Roma zu Kriminalität neigen. Mehr als ein Viertel unterstützt die Position, Sinti und Roma aus den Innenstädten zu vertreiben. Auch Politiker etablierter Parteien, wie der Innenminister, bedienen sich antiziganistischer Äußerungen. Eine Volksgruppe, die ähnlich divers ist wie die Bürger der Europäischen Union, wird vereinheitlicht, stigmatisiert und kriminalisiert.
Das trifft deutsche Sinti und Roma, eine anerkannte Minderheit, die seit 700 Jahren in Deutschland lebt. Viele deutsche Sinti und Roma trauen sich nicht, öffentlich zu ihrer ethnischen Zugehörigkeit zu stehen, aus Angst vor Ausgrenzung.
Das trifft Einwanderer aus EU Mitgliedsländern, wie Rumänien und Bulgarien, die in ihren Heimatstaaten unter menschenunwürdigen Bedingungen leben und hier in Deutschland als Sozialtouristen beschimpft werden, obwohl viele von ihnen gar keine Sozialleistungen erhalten.
Das trifft Asylbewerber aus dem Kosovo, aus Serbien und Mazedonien, die sich in ihrer Heimat vielfacher Diskriminierung ausgesetzt sehen. Sie werden nach wie vor abgeschoben, obwohl ihnen in ihren Herkunftsstaaten kein menschenwürdiges Leben möglich ist.
Der Gedenktag wird in Ausschwitz begangen, um an die Verfolgung zu Zeiten des Nationalsozialismus zu erinnern. Er wird heute, zum ersten Mal, auch in Berlin begangen, am Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma. Beide Gedenkveranstaltungen sind wichtig um zu zeigen, dass Deutschlands historische Verantwortung groß ist, für die Sinti und Roma in Europa und für die Sinti und Roma in Deutschland. Ein Mahnmal und Gedenkveranstaltungen reichen aber nicht aus, ihr gerecht zu werden. Es ist Aufgabe der Politik und der Bürgerinnen und Bürger, den Sinti und Roma endlich eine gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen. Die Bundesregierung muss aktiv werden und auf die Sinti und Roma zugehen, um mit ihnen zusammen Strategien gegen den Antiziganismus und für mehr Teilhabe zu entwickeln.