April 2007
Die Ausgangslage scheint klar: Der Bevölkerungsrückgang beschert uns einen Rückgang der Kinderzahlen an den Schulen (angeblich um 33% in 10 Jahren). Außerdem haben wir in Wiesbaden eine Kultusministerien, die Mindestzahlen für die Aufrechterhaltung von bestimmten Schulangeboten in den weiterführenden Schulen gesetzt hat. Hinzu kommt ein vermeintlich sehr unterschiedliches Schulangebot in Stadt und Landkreis Gießen – vor allem in den Augen verunsicherter Eltern.
Diese Gemengelage hat schon zur Schließung der Gesamtschule in Biebertal geführt und wird, wenn nichts unternommen wird, auch zur Schließung von Schulen oder Schulzweigen an anderen Schulen im Landkreis führen. Außerdem wird es große Leerstände an Klassenräumen geben, zuerst an den Grundschulen, später an den weiterführenden Schulen. Diese wiederum müssen für viel Geld unterhalten werden, solange noch ein Teil der Schule in Betrieb ist. Geld wiederum ist Mangelware im Landkreis, würde aber dringend für Schulsozialarbeit und Ganztagsangebote (und für viele andere Dinge) gebraucht.
Die CDU im Landkreis – und mit ihr die Koalitionäre aus FWG und FDP – hat sich zur Lösung dieser Situation ein relativ einfaches Modell ausgedacht: Nach dem ständig rezitierten Motto unseres Schuldezernenten Fricke (CDU) „kurze Beine, kurze Wege“ müssen die Grundschulstandorte im Kreis solange wie möglich erhalten werden, auch um den Preis jahrgangsübergreifenden Unterrichts.
Bleiben zur Flächeneinsparung eigentlich nur noch die (Grund)-Schulstandorte an denen es mehrere Schulen gibt. Dort könnten Schulen zusammen gelegt werden. Also z.B. Grundschule und Grundschule wie in Lich, oder Grundschule und Förderschule wie in Biebertal oder – und das ist das am meisten favorisierte Modell – Grundschule und Gesamtschule wie in Buseck, Lich und Pohlheim. Die Zusammenlegung von Grundschule und Gesamtschule wird hierbei nicht nur mit freien Flächen sondern auch mit einer Stärkung der bedrohten Gesamtschulstandorte begründet. Die Schüler würden sich an „ihre“ Schule gewöhnen und eher dort bleiben, als nach Gießen zu wechseln. Außerdem könnten sie die an den Gesamtschulen schon vorhandenen Angebote wie Ganztagsbetreuung, Mittagessen, Bibliothek oder Schulgarten mitnutzen.
Auf den ersten Blick ein bestechendes Modell. Allerdings liegt auch hier der Teufel im Detail. Wir Grünen sind ebenfalls schon lange der Ansicht, dass die Grundschule im Dorf bleiben soll. Es sei hier nur kurz an die Schulen in Ettingshausen, Stangenrod und den Schulstandort Kinzenbach erinnert. Auch jahrgangsübergreifender Unterricht muss nicht schlechter, er kann sogar besser sein, als an den Normgrundschulen, s. Bellersheim/Obbornhofen, Freienseen, Salzböden.
Bei der Zusammenlegung von Schulen in einem Ortsteil muss allerdings sehr genau geschaut werden, ob es sich um eine sinnvolle Kombination handelt oder ob eher fatale Folgen auftreten. Hierbei sind aus unserer Sicht folgende Dinge zu betrachten: Wird die Situation für alle Schüler besser oder bleibt sie wenigstens auf dem gleichen Stand? Auch die Eltern und ihre Wünsche sind hier mit einzubeziehen. Es kann z.B. nicht sein, dass die Schüler vor der Zusammenlegung auch in den Ferien ganztags betreut werden, danach aber nur noch in der Schulzeit (so ein Leserbriefschreiber aus Buseck).
Wie groß kann eine Schule sein, in der auch Grundschüler unterrichtet werden, ohne dass es für die Grundschüler unübersichtlich und Angst erregend wird? Reichen die Nebenräume, wie z. B. Turn- und Sporthallen oder Toiletten, Werk- und Kunsträume, Musik- und Versammlungsräume? Sind die Freiflächen rund um die Schule wirklich groß genug, damit sich alle bewegen können? Sind sie auch für kleinere Kinder geeignet? Alle diese Fragen müssen im Einzelfall beantwortet werden.
Die Vorstellung, die Gesamtschulstandorte auf dem Land zu stärken, ist uns erstmal sehr sympathisch. Allerdings stellt sich dann die Frage, wie das am Besten gemacht werden könnte. Die Grundschulen mit den Gesamtschulen zusammenzulegen ist eine Möglichkeit, die allerdings nicht überbewertet werden sollte.
Das größte Problem bei der Erhaltung der Gesamtschulen ist die Abwanderung der als „gymnasial“ eingestuften Schüler in die benachbarte Stadt Gießen. Hier hat die Stadtkoalition aus CDU und Grünen endlich die Beschränkung der Zügigkeit von weiterführenden Schulen in der Stadt beschlossen. Allerdings bleibt die Frage, ob die Eltern und Schüler aus dem Kreis sich daraufhin an die Landkreisschulen orientieren werden, oder ob sie ihre Kinder an andere Gymnasien in Gießen schicken werden, die noch Kapazitäten frei haben.
Fragt man nämlich Eltern aus dem Kreis, warum sie ihre Kinder nach Gießen schicken wollen, erhält man im Wesentlichen folgende Antworten: Kein zweiter Schulwechsel nach Klasse 9/10 an die Oberstufe, die Gesamtschule vor Ort hat einen miesen Ruf, Tradition (Liebigschule), bestimmtes Schulprogramm (Musikangebote), Gymnasium statt Gesamtschule.
Daraus lässt sich Einiges lernen. Die Umwandlung der Giessener Schulen von Gesamtschulen in ein dreigliedriges Schulsystem hat die Abwanderung beschleunigt. Das ist aber nicht so einfach zu revidieren – hier gibt es nur langfristig die Chance der gemeinsamen Schule.
Die Oberstufen fehlen an diversen Landkreisschulen. Es ist allerdings z.Zt. nicht realistisch, gymnasiale Oberstufen an den Schulen im Kreis genehmigt zu bekommen. Die Kultusministerin hat dem bei der letzten Fortschreibung des Schulentwicklungsplans eine Absage erteilt. Allerdings wäre es sinnvoll und möglich, dass die Schulen rund um Gießen mit bestimmten Oberstufenschulen zusammen arbeiten, um den Übergang in die Oberstufe der kooperierenden Schule zu erleichtern – der Lernstoff in Klasse 9/10 könnte abgesprochen werden, wie es normalerweise innerhalb eines Kollegiums passiert. Das würde sicher vielen Eltern die Ängste nehmen. Sicher eine Aufgabe für die abgestimmten Schulentwicklungspläne von Stadt und Kreis im Jahr 2009!
Eine Menge ist möglich, um den Ruf bestimmter Schulen zu verbessern. Der Kreis hat hier nur beschränkte Möglichkeiten, er kann bauliche Maßnahmen durchführen (wie in vielen Schulen schon geschehen) und für überzeugende Schulsozialarbeit sorgen (hier soll auf unseren Antrag hin ein Konzept erstellt werden). Alles andere ist Sache der Schule und ihres pädagogischen Personals. Aus unserer Sicht ist es dringend nötig, an allen Gesamtschulen Mittagessen und Ganztagsbetreuung anzubieten (an allen Wochentagen), ebenso inhaltliche Schwerpunkte an den Schulen zu schaffen (Sprachen, Musik, Kunst, Sport, Naturwissenschaften). Auf jeden Fall sollten Probleme, die an bestimmten Schulen existieren aktiv und öffentlich angegangen werden – wie sonst lässt sich ein existierender schlechter Ruf tilgen?
Die SPD hat in ihrer Zeit an der Regierung im Landkreis auch nicht besonders viel getan, um auf die Probleme des demographischen Wandels zu reagieren. Sie fordert Oberstufen für die Landkreisschulen und schlägt auf Kreisebene ein Moratorium vor, um erst einmal in Ruhe parteiübergreifend und ergebnisoffen zu diskutieren. Eine parteiübergreifende Diskussion ist sicher nicht verkehrt. Die Hoffnung auf die Landtagswahl und massive politische Änderungen in der Schulpolitik nach einem Sieg der SPD in Wiesbaden ist allerdings aus Sicht der Schreiberin ein wenig vermessen.
Die CDU jedenfalls will auch erstmal ergebnisoffen diskutieren, aber nicht im Großen, sondern für jeden Schulstandort einzeln. In Lich ist schon eine AG installiert, in Buseck angedacht. Ob diese Arbeitsgruppen tatsächlich ergebnisoffen sind oder eher ein Feigenblatt, das wird sich herausstellen. Auf jeden Fall ist es sinnvoll, zu versuchen eine gemeinsame Linie im Kreistag zu finden, denn schwierige Maßnahmen vor Ort sind nur gemeinsam durchzustehen und ein Stillstand mit Schließung von Gymnasialzweigen (z.B. in Lich und Allendorf) ein Armutszeugnis für den gesamten Kreistag.
Die grüne Kreistagsfraktion hat begonnen, bestimmte Schulen im Kreis zu besuchen, um sich neben der theoretischen Diskussion ein Bild vor Ort zu machen.
Gespannt warten wir auch schon auf die angekündigten Zahlen des Schuldezernenten in der nächsten Schulausschußsitzung. In der letzten Ausschusssitzung hatte die Regierungsmehrheit einen Antrag der SPD abgelehnt, die neuesten Zahlen und Konzepte für alle Schulstandorte vorzulegen. Im Rahmen dieser Diskussion hatte der Dezernent versprochen, die Zahlen, die bekannt sind (Schülerzahlenentwicklung) für alle Schulstandorte in der nächsten Sitzung vorzustellen. Auf der Tagesordnung des Ausschusses steht der Vortrag nicht…
Über all diese Dinge würden wir gerne mit Euch auf der Jahreshauptversammlung diskutieren und hoffen deshalb auf einen regen Besuch aus möglichst vielen Gemeinden!
Christiane Schmahl
Kreistagsfraktionsvorsitzende
Die vergessenen Schulen
In der gegenwärtigen Diskussion spielen die Förderschulen des Landkreises keine Rolle. Im Gegensatz zu den anderen Schulenwachsen diese Schulen permanent. Die Gründe möchte ich hier nicht diskutieren. Allerdings werden ihre Wünsche und Forderungen kaum wahrgenommen. Während die Georg-Kerschensteiner Schule nun in Biebertal einen Standort bekommt, der von der Größe her endlich ausreicht, gibt es an anderen Schulen noch große Probleme.
Ein Beispiel sind die mangelnden Bewegungsmöglichkeiten für die Schüler an der Gallusschule. Der große Bewegungsraum ist in Klassenräume umgewandelt. Die Sporthallen müssen mit der Theo-Koch-Schule geteilt werden, die Theo-Koch ist die zweitgrößte Gesamtschule im Kreis – da bleiben einfach zu geringe Bewegungszeiten für die Gallusschule.
In der Anna-Freud-Schule gibt es Befürchtungen, als Manövriermasse bei den Zusammenlegungsplänen in Lich zu dienen. Gerade wurde und wird dort der Schulhof umgestaltet, mit viel Engagement und ohne Geld des Kreises (dafür aber von Stiftung Anstoß und anderen), ein Umzug würde alles zunichte machen.