Haushalt 2008
Haushaltsrede der Fraktionsvorsitzenden von Bündnis 90 / Die Grünen, Dr. Christiane Schmahl
Die Wahl zu diesem Kreistag fand im März 2005 statt, danach fand sich die jetzt regierende Koalition aus CDU, FWG und FDP zusammen. Es ist der dritte Haushalt, den diese Koalition verantwortet, der erste doppische, und es ist HALBZEIT der Legislaturperiode. Normalerweise veröffentlichen aus diesem Anlass Regierungskoalitionen gerne Halbzeitbilanzen – wenn sie einen (Groß)teil ihrer Versprechungen umgesetzt haben. Die Frage ist nur, ob diese Koalition einen Anlass dazu hat. Ich gebe zu, eine eher rhetorische Frage.
Dafür will ich heute eine Halbzeitbilanz dieser Koalition ziehen – aus grüner Sicht natürlich und aus Anlass eines Haushaltes, der typisch ist, für das, was wir in den letzten zweieinhalb Jahren erlebt haben. Schauen wir uns die unterschiedlichen Bereiche an:
1. Konsolidierung der Finanzen
Dieser Haushalt sieht besser aus, als er ist. Wenn er kameralistisch wäre, sähe er schlechter aus, als der letzte. Das hat der Kämmerer in seiner Haushaltsrede selbst erwähnt. Er ist allerdings für unsere Verhältnisse hier im Landkreis Gießen noch relativ gut ausgefallen, weil wir uns, nachgelagert zu den Gemeinden, noch in der konjunkturellen Hochphase befinden und von Kreis- und Schulumlage profitieren. Die Finanzkrise beschert uns noch dazu niedrige Zinsen. Was allerdings, wenn jetzt die Rezession kommt? Und die kommt! Dann werden die Löcher wieder riesig, denn an der Grundstruktur hat sich nicht verändert. Dann sinken die Einnahmen und die Ausgaben für Arbeitslosigkeit und soziale Probleme steigen. 20 Millionen Unterdeckung – wir werden sie wieder haben.
Nicht dass mich das wundert – ich glaube schon lange nicht mehr, dass der Haushalt des Landkreises aus eigenere Kraft zu sanieren ist. Ich würde es allerdings auch niemals vor einer Wahl versprechen und erst recht nicht jemand zum Schuldenlandrat abstempeln, der für diese Grundstrukturen nichts kann. Die Privatisierung von Putzfrauen reicht augenscheinlich auch bei guter Konjunktur nicht zur Haushaltssanierung aus. Ebenso wenig der einmalige Verkauf des Landratsamts, der sich eher zum Minusgeschäft hin entwickelt. So ist das halt mit dem Verkauf von Tafelsilber, die Rohstoffpreise schwanken ganz beträchtlich.
Einen Pluspunkt hat dieser Haushalt verdient.
2. Sozialpolitik
Den bekommt er für die Einführung der Schulsozialarbeit an den Gesamtschulen und Förderschulen. Auf unseren Antrag hin, dem damals die Koalition zustimmte, wurde ein gutes Konzept entwickelt und beginnend Ende diesen Jahres umgesetzt. Dafür danken wir insbesondere dem nun leider scheidenden Dezernenten Stefan Becker. Ebenso positiv zu erwähnen, ist die bessere Entlohnung der Tagesmütter im Landkreis – ein Schritt zur besseren Betreuung der Kleinkinder. Wir freuen uns natürlich auch über die Zustimmung der Koalition zu zwei weiteren grünen Anträgen, die den Haushalt betreffen: Der weiteren Finanzierung der B2-Kurse (Deutsch für den Beruf) für Zuwanderer und der Einstellung von 20.000€ für die Verhütungsmittel für Hartz-IV-EmpfängerInnen. Gäbe es nur den Sozialhaushalt, hätten wir vermutlich Schwierigkeiten mit der Ablehnung des Haushalts.
Aber es gibt ja auch noch Anderes, z.B. die Abfallpolitik.
3. Abfallpolitik
Ich habe vorhin schon begründet, warum wir der Abfallsatzung nicht zustimmen können. Ich will das hier nicht wiederholen. Aber ich möchte noch Einiges hinzufügen. In diesem Jahr gibt es keine Gebührensenkung. Die in den letzten Jahren gesenkten Gebühren reichen auch nicht aus, um den Abfallhaushalt in Balance zu halten, wir gehen vermehrt an die Rücklage. Die ganze Gebührenschätzung beruht auf dem Wunsch, dass doch mindestens 40.000t Restmüll an Remondis geliefert werden können. Das allerdings glauben wir nicht. Wir glauben, dass sich die Umstellungen in der Stadt so auswirken werden, dass wir das erste Mal unter 40.000t Grenze geraten werden. Umweltpolitisch wäre das gut und wünschenswert. Jahrelang haben wir uns Gedanken gemacht, wie wir die Menschen dazu bringen können, weniger Restmüll in ihre Tonnen zu stopfen. Wir belohnen sie dafür. Dann aber hat die Koa dummerweise einen Müllentsorgungsvertrag mit Remondis geschlossen, der genau dieses bestraft. Wenn wir die 40.000t unterschreiten, werden Strafzahlungen fällig. Und je umweltbewusster sich die Bürger verhalten, desto teurer wird es. Nun gibt es solche Klauseln für Untergrenzen in vielen Lieferverträgen. Wenn allerdings so verhandelt wird, dass die Untergrenze schon nach einen Jahr Vertragslaufzeit erreicht wird, bei einer Laufzeit von 15 Jahren, dann kann nur von einer groben Fehleinschätzung des Dezernenten oder der Abteilung geredet werden. Wie so vieles bei diesen Remondis –Verträgen, kein Meisterstück.
Ebenfalls kein Meisterstück ist der Bau und der Betrieb des Abfallwirtschaftszentrums und der Müllumladestation in der Lahnstraße. Es mag ja sein, dass die Preiserhöhungen im Rahmen dessen liegen, was an öffentlichen Bauten so üblich ist, trotzdem sind sie hoch. Außerdem fragt man sich wirklich, wer die Planungen für die LKW-Routen auf dem Gelände gemacht hat. Die Fahrer tun mir nach wie vor leid und von optimalen Arbeitsabläufen kann man auch nicht sprechen. Wenn man etwas neu baut, sollte es optimal sein und kein nachzubesserndes Stückwerk. Auch die Frage, wer dort im laufenden Betrieb für was aufkommt – ich denke an die Entlüftung – ist immer noch nicht abschließend geklärt. Eigentlich denkt man als Laie, dass man sich über solche Sachen vorher einigt und nicht hinterher Schiedsstellen oder Gericht bemüht.
Verlassen wir das Kapitel Abfall und wenden wir uns der Umweltpolitik zu.
4. Umweltpolitik
Die Umweltpolitik des Landkreises Gießen besteht aus der Ankündigung „Modellregion für erneuerbare Energien“ werden zu wollen und dem Beitritt zur „Bioregio Holz“. Immerhin bauen wir seitdem 1 oder 2 Holzhackschnitzelheizungen oder Pelletsheizungen statt Öl- oder Gasheizungen oder zusätzlich dazu in Schulen ein, wenn sowieso ein Wechsel ansteht. Etwas wenig für eine Modellregion. O.k. einen einzelnen Schulbau in Passivbauweise werden wir demnächst auch verwirklichen. Ein bisschen wenig für eine Modellregion und für die gesamte Umweltpolitik des Kreises. Jetzt würde normalerweise der Einwurf kommen, „aber wenn wir demnächst unsere ganzen Schulen ökologisch sanieren“
und damit wären wir beim ÖPP-Projekt und den Schulen…
5. Schulbaupolitik
Seit Jahren gibt es einen Investitionsstau bei den Schulen. Der sieht folgendermaßen aus: Eine Schule x ist sanierungsbedürftig, dies wird von der Abteilung schnell erkannt. Nach einiger Zeit des Wartens gelangt die Schule auch nach weiter oben auf der Prioritätenliste, so ca. 1-5 Jahre dauert das bestimmt, je nachdem, ob das Problem erträglich ist, wie z.B. eine uralte Heizung, die den Schulhof so gut heizt, dass die Schneeräumung eingespart werden kann oder unerträglich wie ein undichtes Dach. Dann wird Geld für die Planung eingestellt und ein Architekt beauftragt. Wenn die Schule Glück hat, ist die Planung nach einem halben Jahr im Schulausschuss zur Abstimmung und wird beschlossen. Wenn die Schule Pech hat und die Planung ergibt eine zu hohe Bausumme, wie bei der Martin-Buber-Schule, dann wird die Planung eingestampft und der Kandidat geht zurück auf Los. Die Schüler bleiben im Container. Aber auch hier wird endlich alles gut, wie z.B. bei der Anna-Freud-Schule. Es gibt eine Planung, der Schulausschuss genehmigt sie und nun geht es an die Umsetzung. Jeder denkt, hurra jetzt wird gebaut. Stimmt auch, die Frage ist nur, wann wird angefangen? In Lollar an der CBES hat es vom Beschluss im Schulausschuss über die Sanierung der Naturwissenschaften noch mal 2 Jahre gedauert, bis jetzt endlich begonnen wird. Dann stellt sich die nächste Frage, wie lange dauert es? In Lollar wird von vornherein 1 Jahr mehr von der Abteilung angesetzt, als der Architekt meint, dass nötig sei. Warum? Alle unseren größeren Schulbauten werden gestreckt. Aus Haushaltsgründen, aus Personalgründen, man kann ja nicht so viele Baustellen gleichzeitig betreuen. Stellen Sie sich mal vor, Ihr Kind wäre in der Oberstufe einer Schule und von Klasse 11-13 fällt der praktische naturwissenschaftliche Unterricht aus – Ihr Kind möchte aber im Landesabitur eine gute Note erreichen, weil es ein zulassungsbegrenztes Studium aufnehmen will? Wie fänden Sie das? Wie lange muten wir Schülern die Dauerbaustelle Theo-Koch-Schule zu? Seit 10 Jahren bestimmt.
Nun dagegen hat die Koalition ein Mittel gefunden, es heißt ÖPP. Letztes Jahr übrigens auch schon. Bis der RP uns sagte, dass wir das unmöglich für alle Schulen gleichzeitig machen können, dafür reicht unser Geld nicht. Also gibt es jetzt ein neues ÖPP. Die Koa fängt von vorne an. Es wird geplant, mit neuen Planungskosten. Erstmal welche Schulen mitmachen dürfen – primäres ÖPP Cluster, oder auch erste Anhäufung in öffentlich privater Partnerschaft. Mit energetischer Sanierung! Wir warten gespannt auf das eine Drittel Gewinner und die zwei Drittel Verlierer, bei denen sich dann die nächsten Jahre gar nichts mehr tut. Aber das ist nicht meine einzige Horrorvision beim Thema ÖPP. Die größere ist eine andere, nämlich dass die Verträge so ähnlich professionell geraten, wie die mit Remondis. Wenn ich mir vorstelle, dass der Abteilungsleiter geht und eine weitere nicht ganz unmaßgebliche Mitarbeiterin, der Dezernent sich hauptsächlich mit Wahlkampfauftritten beschäftigt und gleichzeitig der Normalbetrieb schon zu Überlastung in der Abteilung führt, dann frage ich mich, wer im nächsten Jahr Zeit und Kraft zum professionellen Verhandeln haben wird! Irgendwann bekommen wir die Verträge dann wieder nichtöffentlich mal eben kurz zu sehen und es wird etwas von der KOA durch gestimmt, diesmal für 20 Jahre Schulbau. Diese Art von Politik ist der dilettantische Versuch professionell zu wirken, die Folgen tragen andere.
Statt auf ÖPP zu starren, wie auf einen Fetisch, hätte man zwischendrin allerdings auch ganz praktisch schon kleinere aber deswegen nicht schlechtere Schritte zum Abbau der langen Umsetzungszeiten im Schulbau tun können: Z.B. Bauleitungen als Dienstleistung nach außen vergeben oder zusätzliche Menschen in der Abteilung einstellen können, wenn es schon so viele Überlastungsanzeigen gibt, wie im HFWR erwähnt.
Aber stattdessen beschäftigen wir uns lieber mit uns selbst.
6. Innere Befindlichkeiten
Erst verkaufen wir unser Landratsamt, als gäbe es nichts Wichtigeres. Vom Landrat vorgerechnet bekam die KOA schon im Frühsommer, dass es günstiger sein könnte, in der Stadt zu bleiben und langsam und behutsam eine Sanierung vorzunehmen. Nun heißt es auf einmal, trotz der Mindereinnahme von 2 Millionen, es wäre immer noch günstiger in die Rivers zu ziehen, wegen der energetischen Sanierung. Die Landratsvariante konnte allerdings nicht gegen gerechnet werden. Warum? Sie wäre günstiger gewesen.
Schade, dass bei uns nicht bei einer Schule im Landkreis so schnell gehandelt wird. Kinder sind eben nicht ganz so wichtig, wie man selbst. Und ein neuer Landrat braucht ein neues Schloss.
Ansonsten haben wir da noch eine Verwaltungsreform. Vor 10 Jahren ungefähr begonnen und unter vielen Geburtswehen gestartet. Mit Verwaltungsreformkommission und neuen Fachbereichen. Man sollte doch denken, dass am Ende der Reform erstmal alles zum Besten steht. Stattdessen wollen die obersten 3 Verwalter jetzt von uns ein Gutachten genehmigt haben, zur Organisation der Verwaltung. Zuerst denkt man ja, das sei ein schlechter Scherz. Mein Kollege, Dr. Klaus Becker, der schon die Verwaltungsreform im Landkreis Wetterau mitgemacht hat, und kurz darauf eine zweite, weil die erste es nicht gebracht hat, findet es ganz normal, weil Verwaltungsreformen sowieso nichts ändern. Ich jedenfalls möchte wirklich einmal wissen, wieso die Abteilung Schule, Planen und Bauen begutachtet werden soll, während der Dezernent im Wahlkampf ist, der Fachbereichsleiter geht, ein neuer gefunden werden muss und Frau Wagner ebenfalls in den Ruhestand geht. Was ist denn das für eine Beurteilungsgrundlage für ein Gutachten? Hinzu kommen noch die ÖPP-Ausschreibung und die Umstellung auf die Doppik, die ja noch nicht abgeschlossen ist. Der ideale Zeitpunkt.
Mal sehen, wie lange diesmal die Beschäftigung mit sich selbst bei der Stellenbesetzung dieses Fachbereichsleiters dauert. Wann kommt übrigens der neue Mann im Hauptamt? Schon lange nichts mehr gehört Er sollte doch die Fähigkeiten für die Umsetzung von ÖPP mitbringen. Es kann weiterhin gehofft werden.
Der jetzige Haushalt ist bis auf den Sozialhaushalt ein „weiter so beim herumwursteln und ankündigen“ und enthält Dinge, wie die weitere Privatisierung der Schulreinigung oder den Verkauf des Landratsamtes, die wir ablehnen. Nach wie vor fehlen viele wichtige Schulsanierungen, außer Ankündigungen nichts. Daher lehnen wir den Haushalt ab.