Ehemaliges Gebäude der Kerschensteiner-Schule
in Krofdorf-Gleiberg wird saniert – Historischer Rückblick
Vier Klassenzimmer und – was viele vielleicht gar nicht wissen – auch eine Volksbadeeinrichtung: Um die steigenden Schülerzahlen bewältigen zu können, entstand von 1913 bis 1919 eine neue Schule, die Krofdorf und Gleiberg räumlich zusammenwachsen ließ. Rund hundert Jahre später arbeiten wieder Handwerker in der Burgstraße 14 und der denkmalgeschützte Bau wird für die nächsten Kindergenerationen durch den Landkreis Gießen saniert. Zwischenzeitlich haben Tausende Kinder in den Räumen viel erlebt, Streiche gemacht und im Zweiten Weltkrieg wurde die Schule zweckentfremdet. Ein historischer Rück- und lokalpolitischer Ausblick aus gegebenem Anlass: Am Samstag, 23. April, findet um 17 Uhr in der Mehrzweckhalle ein Festabend zum Schuljubiläum der Grundschule statt (siehe Info-Kasten).
„Ein altes Schulgebäude wie dieses steht immer auch für einen symbolischen Ort in der Geschichte einer Gemeinde“, nennt Dr. Christiane Schmahl, Schul- und Baudezernentin des Landkreises Gießen, einen der Gründe, warum das Haus saniert wird. „Und ich persönlich finde, es ist ein sehr gutes Beispiel für ein Schulgebäude, in dem man sich wohlfühlt, weil es eben schon eine Geschichte hat.
Für die Sanierung der momentan leerstehenden, früheren Kerschensteiner Schule und den Erweiterungsbau – das jetzige Grundschulgebäude von 1966 wird abgerissen – hatte der Landkreis Gießen einen Architektenwettbewerb ausgerufen. Unter 49 Beiträgen waren die besten ausgesucht worden. Am meisten überzeugen konnte schließlich das Modell des Büros „Ferdinand Heide Architekt BDA“ aus Frankfurt. „Der Unterricht wird während der Bauphase noch in dem aktuellen Grundschulgebäude stattfinden“, erklärt sie die weitere Vorgehensweise. Die Kosten der Baumaßnahmen werden auf 6.150.000 Euro geschätzt.
„Es ist vor allem wichtig, dass auch Räume für die Ganztagsbetreuung entstehen“, erklärt Christiane Schmahl. Durch den Architektenwettbewerb wurden viele spannende Vorschläge präsentiert. „So konnte die bestmögliche Lösung für die Baumaßnahme gefunden werden.“
An der Nordseite des Schulgebäudes befanden sich bis zu den Herbstferien 2015 noch die Toiletten und Funktionsgebäude. Dort entsteht derzeit ein neuer Flügel, der auch einen Teil des Schulhofs überdachen wird. Zudem wird ein zweigeschossiger Bau mit Aula und Mensa einen Kontrast zur historischen Volksschule nach Westen bilden.
Wenn es um Krofdorf-Gleiberger Geschichte geht, sind Dr. Jürgen Leib und Manfred Schmidt die beiden Experten. Jürgen Leib hat 1974 anlässlich der 1200-Jahrfeier der Gemeinde ein fast 700 Seiten starkes Buch über die Geschichte Krofdorf-Gleibergs verfasst. Manfred Schmidt verfügt ebenfalls über profunde Kenntnisse über die Geschichte des Ortes und beschäftigt sich seit Jahrzehnten schwerpunktmäßig mit genealogischen Themen und den Dorfnamen.
„1913/14 erreichte die Schülerzahl in Krofdorf und Gleiberg mit 311 Jungen und Mädchen ein Rekordniveau“, berichtet Manfred Schmidt. Deshalb wurde 1913 beschlossen, eine neue Schule am Gleiberger Weg, der heutigen Burgstraße, mit eben den eingangs genannten vier Klassenzimmern samt einer Volksbadeeinrichtung zu errichten.
Erst sechs Jahre später und nach dem Ende des Ersten Weltkriegs zogen die Gleiberger Schüler und ein Teil der Krofdorfer Kinder (249) mit den vier Lehrern Hoffmann, Jäger, Lochau und Praß am 2. Mai 1919 in die neue ,Gleiberger Schule‘ um. Dadurch wurden nach über 100-jähriger Trennung 362 Kinder beider Ortsteile wieder zusammengeführt.
In der neuen „Gleiberger Schule“ gab es eine Mädchen- und eine Jungenoberklasse sowie jeweils eine gemischte Mittel- und Unterklasse. Mit dem neuen Gebäude endete die fast vier Jahrhunderte dauernde Zeit einer Schule in Gleiberg. In der 1902/03 erbauten „Krofdorfer Schule“ in der Hauptstraße 74 hingegen wurde ein Teil der nördlich der See- und Poststraße wohnenden Schüler (113) von den Lehrern Bechthold und Bindewald unterrichtet.
Durch den Ersten Weltkrieg sank die Schülerzahl rapide. 250 Kinder waren der Tiefpunkt im Jahr 1925. Auch durch den Zweiten Weltkrieg kam der Unterricht teilweise vollständig zum Erliegen. Viele Lehrkräfte waren nicht anwesend. Zudem wurde das Gebäude für militärische Zwecke gebraucht, musste geräumt werden und wurde zum Teil als Unterkunft für Evakuierte genutzt. Etwa 330 Krofdorf-Gleiberger Kinder und zwei Klassen von Evakuierten waren auf lediglich zwei Klassenräume zusammengedrängt. Wegen der täglichen Fliegeralarme waren geregelte Schulstunden unmöglich und ab April 1945 fiel der Unterricht komplett aus.
Am 1. Oktober 1945 fand wieder Unterricht in der Hauptstraße 74 in zwei Räumen statt, weil die Schule in der Burgstraße den amerikanischen Besatzungstruppen zu diesem Zeitpunkt noch als Unterkunft diente. Im Schuljahr 1950/51 unterrichteten neun Lehrkräfte insgesamt 442 Mädchen und Jungen in nur sechs Räumen. 1952 wurde die heute rund 100 Jahre alte Grundschule dann um vier Klassenräume ergänzt. Die Kosten betrugen damals 170.000 Mark.
Dadurch stand für jede Klasse ein eigener Raum zur Verfügung. Nur die siebte Klasse blieb weiterhin an der alten Schule. 1965/66 folgte am Kastanienweg ein an den Schulhof angrenzender Neubau mit sieben Klassenräumen und zahlreichen Fach- und Nebenräumen. Damit verfügte Krofdorf-Gleiberg über eine Schule mit 15 Klassenräumen und weiteren Fachräumen.
Der Hessische Landtag verabschiedete 1969 neue Schulgesetze und bestimmte Krofdorf-Gleiberg zum Standort einer Förderstufe für die Gemeinden Krofdorf-Gleiberg, Launsbach und Wißmar. Der Kreistag legte den Standort „Wettenberg“ in der Gemarkung Launsbach für die 1970/72 neu errichtete Gesamtschule der drei Gemeinden fest. Seit 1972 ist die Grundschule in Krofdorf-Gleiberg selbstständig und in dem Neubau am Kastanienweg untergebracht. Und seitdem befand sich in der Burgstraße die Georg-Kerschensteiner-Schule, ein sonderpädagogisches Kompetenzzentrum für alle Förderbedarfe. Seit dem Umzug nach Biebertal im Jahr 2008 und einer Zwischennutzung für die Grundschüler aus Atzbach bis 2012 steht das Gebäude leer.
„Um die Entstehungsgeschichte der ab 1913 sechs Jahre lang erbauten Schule in der Burgstraße zu verstehen, ist ein Blick auf die lange lokale Schulgeschichte unverzichtbar“, erläutert Jürgen Leib. Vermutlich bereits um die Mitte des 16. Jahrhunderts existierte in Gleiberg eine Lateinschule. Dieser sehr frühe Zeitpunkt ergibt sich aus der Sondersituation der Burgsiedlung, die 1331 Frankfurter Stadtrecht erhielt. Die in der Stadt und auf der Burg wohnenden Verwaltungsbeamten, Burgmannen und sonstigen Bürger legten großen Wert auf eine gute Schulbildung ihrer Kinder und dürften deshalb Druck ausgeübt haben.
„Die Gleiberger Lehrerstelle war schlecht dotiert“, berichtet Jürgen Leib weiter. Als Zubrot verrichteten die ersten Amtsinhaber Hilfsdienste in der Gleiberger Kirche, sangen mit ihren Schülern bei Beerdigungen und waren zeitweise auch Gerichtsschreiber des Amtes Gleiberg. Deshalb richteten der erste namentlich bekannte Schulmeister Johannes Zigler (1557) und auch seine Nachfolger immer wieder Bittschriften zur Verbesserung ihres Lebensunterhalts an die vorgesetzten Behörden. Seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert nahmen die Lehrer an der Gleiberger Lateinschule, die meist auch ein abgeschlossenes Theologiestudium hatten, zunehmend Aufgaben des Krofdorfer Pfarrers wahr und besserten so ihr Einkommen auf.
Im 16. Jahrhundert war die Gleiberger Lateinschule in der Torstraße 11 formal dreigeteilt: eine Elementarschule für Grundkenntnisse in Lesen und Schreiben, eine Mittelschule als eigentlicher „deutscher Schule“ mit dem Schwergewicht auf Deutsch, aber auch Fachrichtungen wie Erdkunde, Geschichte oder Naturkunde sowie eine höheren Lateinschule mit Latein und Griechisch und dem Abschluss einer Hochschulreife.
Alle Schüler – Ende des 16. Jahrhunderts nennt der Lehrer Erasmus Orlettius insgesamt 45 Knaben – befanden sich in einem Raum und wurden von einem Lehrer unterrichtet. Die Unterrichtszeit betrug täglich etwa sieben Stunden. Da die Mehrzahl der umliegenden Gemeinden keine Schulen besaß, war die Gleiberger Lateinschule von großer Bedeutung.
Die Stadt Gießen – für Gleiberg damals Ausland – stellte seit Beginn des 17. Jahrhunderts allerdings eine große Konkurrenz dar, denn sie besaß ein vierklassiges Pädagogium. Dieses stand in enger Verbindung mit der 1607 eröffneten Universität. Weiterhin sorgte der Dreißigjährige Krieg dafür, dass der Schulunterricht in der Gleiberger Lateinschule vernachlässigt wurde. Der Grund waren Hunger, Pest und durchziehende Armeen, welche die Bewohner der Dörfer plagten. Bis 1919 wurde in diesem 1974 abgebrochenen Gebäude unterrichtet, das lange Zeit auch als Rathaus diente.
Etwa 80 Kinder besuchten um 1688 die Schule in Gleiberg. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts verdoppelte sich die Schülerzahl nahezu auf rund 150 Schüler. Die Folge war akute Raumnot. Außerdem kam ein Großteil der Kinder aus dem Ortsteil Krofdorf, weshalb mit der Aufhebung der Gleiberger Kaplanei in Krofdorf das erste Schulgebäude neben der evangelischen Kirche ab 1813 errichtet wurde, wo der Unterricht der Oberklassen bis Ende des 19. Jahrhunderts stattfand.
Bereits 1831 erwarb die Gemeinde ein Bauernhaus in der heutigen Hauptstraße 13 und richtete im Obergeschoss einen Schulsaal ein. Im Erdgeschoss wohnte der Lehrer. Dieses Haus wurde 1893 abgetragen und in der Wetzlarer Straße 14 wieder errichtet. An seiner Stelle entstand das Gebäude der heutigen Gaststätte „Lava“.
Wegen weiter steigender Schülerzahlen war die Gemeinde 1865 gezwungen, ein neues Schulgebäude in der heutigen Poststraße 2 mit zwei Lehrsälen und zwei Lehrerwohnungen zu bauen. Es wurde von 1866 bis 1919 genutzt. 1903 wurde ein weiterer Schulbau in der nördlichen Hauptstraße eingeweiht, wo sich heute der Kindergarten „Schatzkiste“ befindet.
Infokasten:
Im zurückliegenden und in diesem Jahr gab und gibt es gleich mehrere Jubiläen rund um die Schule in Krofdorf-Gleiberg: Vor fast 500 Jahren wurde in Gleiberg eine erste Lateinschule eingerichtet. Vor rund 200 Jahren – zwischen 1813 und 1815 – wurde die erste Krofdorfer Schule auf dem Grundstück der Rodheimer Straße 27 gebaut. Vor 150 Jahren (1865) erfolgte ein Schulbau in der heutigen Poststraße 2. Vor 100 Jahren waren die Bauarbeiten Schulgebäude an der Burgstraße (1913-1919) in vollem Gange, das derzeit saniert wird. Und: Vor 50 Jahren baute die Gemeinde Krofdorf-Gleiberg das heutige Grundschulgebäude im Kastanienweg.
Diese Anhäufung von Jubiläen haben engagierte Wettenberger als Anlass genommen, gemeinsam mit der Schulleitung und weiteren Beteiligten am Samstag, 23. April, um 17 Uhr einen Festabend in der Mehrzweckhalle von Krofdorf-Gleiberg zu veranstalten. Eingeladen sind aktuelle und frühere Schülerinnen und Schüler, deren Eltern und alle, die sich für die Schulgeschichte vor Ort interessieren.
Im Mittelpunkt der zweistündigen Veranstaltung steht der 45-minütige Vortrag „500 Jahre Schulen in Krofdorf-Gleiberg“ von Dr. Jürgen Leib und Manfred Schmidt. Damit es für die Kinder nicht langweilig wird, können sie währenddessen gemeinsam spielen. Heinz Dahl und Manfred Wahl eröffnen schließlich eine Ausstellung, den der Heimat- und Geschichtsverein Krofdorf-Gleiberg und die Fotofreunde Krofdorf-Gleiberg gestalten.
Informationen in aller Kürze zur Wettenberger Schulsituation im Allgemeinen gibt es von Bürgermeister Thomas Brunner, zum Stand der Sanierung der Krofdorf-Gleiberger Grundschule spricht Dr. Christiane Schmahl, Schul- und Baudezernentin des Landkreises. Schulleiterin Cornelia Anthes berichtet von den Perspektiven der Schule aus pädagogischer Sicht. Kurz begrüßen werden auch Günter Feußner und Gerhard Schmidt. Der Schulchor hat mehrere kurze Auftritte.