In einem Schreiben an den Dezernenetn Betschel-Pflügel nimmt der Landkreis Gießen Stellung zur geplanten Fortschreibung des Schulentwicklungsplans des Wetteraukreises.
„Auf der Seite 567 des Entwurfes teilen Sie mit, dass Sie an der Singbergschule in Wölfersheim eine gymnasiale Oberstufe errichten wollen. Das lehnt der Landkreis Gießen ab. Ich werde diese Ablehnung im Folgenden ausführlich begründen und bitte Sie, diesen Widerspruch und seine Begründung dem Kreistag mitzuteilen. Darüber hinaus werde ich dieses Schreiben an die beiden zuständigen Staatlichen Schulämter und an das Hessische Kultusministerium senden.
Im Schulentwicklungsplanentwurf des Wetteraukreises findet sich keinerlei Begründung für die Errichtung der neuen Oberstufe. Bisher gab es keine Mangelsituation, die Schüler des Wetteraukreises und insbesondere die der Planungsregion Wölfersheim sind gut mit Oberstufenplätzen versorgt. Ich nenne hier nur die umgebenden Schulen mit Sekundarstufe II: Weidigschule in Butzbach, Ernst-Ludwig-Gymnasium in Bad Nauheim, Augustinerschule in Friedberg, Burggymnasium in Friedberg, Gymnasium Nidda und die Gesamtschule Hungen. Nicht erwähnt wurden berufliche Gymnasien und Privatschulen, die ebenfalls im Einzugsgebiet vorhanden sind. Zu allen diesen Schulen existieren gute Verbindungen mit dem ÖPNV, bzw. existierten im Fall der Gesamtschule Hungen. Hier lässt der Wetteraukreis seine Verbindung auslaufen (!), da er die Schüler an eigene Oberstufen lenken will. Der Landkreis Gießen erkennt daher kein öffentliches Bedürfnis für die Errichtung einer zusätzlichen gymnasialen Oberstufe.
Der Gymnasialzweig an der Singbergschule existiert erst seit dem Schuljahr 2009/2010. Daher gibt es keine Prognosen für die weitere Entwicklung. Bisher wurde eine durchschnittliche Jahrgangsbreite von 92,8 Schülern erreicht, die Zügigkeit beträgt 3 Klassen. Trotzdem wird offensichtlich eine wesentlich höhere Jahrgangsbreite in der Oberstufe angestrebt, denn dort soll die Jahrgangsbreite auf maximal 120 begrenzt werden. Auch dafür wird keine Begründung geliefert. Eine Jahrgangsbreite von 90-120 Schülern würde die umgebenden Oberstufen aber deutlich verkleinern. Im Schulentwicklungsplanentwurf findet sich bei den betroffenen Schulen des Wetteraukreises kein Hinweis auf die Auswirkungen der neuen Oberstufe. Von daher müssen die Zahlen bezweifelt werden. Entweder es gibt Auswirkungen bei den Schülerzahlen der umgebenden Schulen oder die geplante Oberstufe kann nicht existieren.
Die erwartete Jahrgangsbreite ist umso verwunderlicher, als die Schülerzahlen im Einzugsgebiet zurückgehen. Im Schulbezirk Wölfersheim sind die Schülerzahlen vom Schuljahr 2009/10 bis zum Schuljahr 2013/14 von 931 auf 809 zurückgegangen, das sind 13,1%. Da im gesamten Wetteraukreis die Schülerzahlen in ähnlicher Höhe zurückgehen (13,6%) ist auch keine Zuwanderung aus benachbarten Gebieten zu erwarten, die den Schülerrückgang ausgleicht. Gleiches gilt für die benachbarten Regionen Lich und Hungen des Landkreises Gießen. Auch der im allgemeinen Teil des Schulentwicklungsplanentwurfs prognostizierte Rückgang der Schüler in der Sekundarstufe 2 von 4.557 Schülern im Jahr 2014 auf 3.690 Schüler im Jahr 2020 spricht deutlich gegen die Errichtung einer neuen Oberstufe. Das sind immerhin 867 Schüler, also ca. 2-3 ganze Oberstufen!
Das bedeutet, dass hier zusätzlich zur demographischen Entwicklung, die schon für manche Schulstandorte allein eine Gefährdung darstellt, eine weitere Konkurrenz geschaffen wird. Dies betrifft vor allem die Gesamtschule Hungen und das Gymnasium Nidda, weil die demographische Entwicklung in diesem Raum besonders negativ ist. Aber auch die Oberstufen in Butzbach, Bad Nauheim und Friedberg werden sich verkleinern. Denn woher sollen die Oberstufenschüler sonst kommen?
In der öffentlichen Diskussion werden häufig nur die Schüler aus Wölfersheim genannt, die die Gesamtschule Hungen besuchen (insgesamt 41, davon 10 die Oberstufe). Allerdings wird die Gesamtschule Hungen auch von Schülern aus Echzell, Reichelsheim und Nidda besucht, so dass wesentlich mehr Schüler demnächst einen anderen Weg gehen könnten. Denn eine neue Schule ist erst einmal eine attraktive Schule, dank neuer Gebäude und eines jungen Kollegiums.
Die Verkleinerung einer Oberstufe wie der der Gesamtschule Hungen um 10 oder 20 Schüler scheint erst einmal marginal. Sie kann aber fatalerweise genau dazu führen, dass außer den Standardfächern keine Leistungskurse mehr angeboten werden können. Das Angebot an allen Oberstufen der Umgebung wird dadurch geringer, das ist wiederum für Schüler, die nicht die klassischen Fächer wählen wollen, ein großer Nachteil. Als Schulträger bemüht sich der Landkreis Gießen um eine Jahrgangsbreite an der Gesamtschule Hungen, die auch Leistungskurse ermöglicht, die den Neigungen kleinerer Schülergruppen entsprechen. Hier ist z.B. der Leistungskurs Sport zu nennen, aber auch die Angebote im Bereich darstellendes Spiel und der Fremdsprachen.
Aber auch die Sekundarstufe 1 der Gesamtschule Hungen würde in Mitleidenschaft gezogen. Ist die Gesamtschule Hungen heute noch für die südlichen Stadtteile von Hungen wegen der anschließenden Oberstufe attraktiver als die Singbergschule, könnte das in Zukunft deutlich anders sein, da die Fahrzeiten des ÖPNV zur Singbergschule heute schon kürzer sind als in die Kernstadt Hungen. Das wiederum würde den Schulträger Landkreis Gießen zu Mehrausgaben im Bereich des Schülerverkehrs zwingen, um den eigenen Schulstandort zu stabilisieren.
Die Gesamtschule Hungen ist im Ganztagsbereich im Profil 1 des Landes Hessen, sie strebt das Profil 2 an. Der Schulträger hat diese Entwicklung durch den Bau einer neuen Mensa mit Aula für die Fachrichtung darstellendes Spiel unterstützt. Weiterhin wird die Schulbibliothek z.Zt. deutlich vergrößert, um eine zeitgemäße Biblio- und Mediathek einrichten zu können, wie sie gerade an einer Oberstufenschule dringend nötig ist. Die energetische Sanierung der Gebäude begann im SIP im Bereich der Förderstufengebäude und wird mit der Sanierung des Hauptgebäudes weiter geführt werden. Aktuell ist der Bau einer Dreifeldhalle an der Gesamtschule gemeinsam mit der Stadt Hungen geplant (die Leistungsphasen 1 und 2 der Planung sind abgeschlossen), um das sportliche Angebot nachhaltig gestalten zu können. Nur so ist es möglich, Schulen auf dem Land attraktiv zu halten und damit ein wohnortnahes Schulangebot zu ermöglichen.
Diese Investitionen sind im Vertrauen darauf getätigt worden, dass keine Konkurrenzangebote in der Region zusätzlich errichtet werden. Außerdem würden so doppelte Kosten für Gebäude und deren Unterhaltung entstehen. Schließlich ist die Errichtung weiterer Gebäude an der Singbergschule für eine gymnasiale Oberstufe unumgänglich. Im Schulentwicklungsplanentwurf wird das allerdings mit keinem Wort erwähnt.
Weitere Folgen wären Umsetzungen im Bereich der Lehrer, aber auch der Sekretärinnen, Hausmeister und Putzfrauen. Wobei die Frage erlaubt sein muss, ob es zeitgemäß ist, doppelte Gebäudereinigung und –unterhaltung durch die Schulträger zu finanzieren. Sowohl der Landkreis Gießen als auch der Wetteraukreis haben einen Schutzschirmvertrag mit dem Land Hessen geschlossen. Das sollte Anlass genug sein, um sparsam mit den öffentlichen Mitteln umzugehen.“