Sehr geehrte Damen und Herren,
es ist sicherlich für Sie alle keine Überraschung, dass die Fraktion der Grünen dem neuen Regionalplan nicht zustimmen wird. Ein Plan der fast die gleiche Fläche an „Vorrangflächen für Industrie- und Gewerbe“ ausweist, wie der Regionalplan 2010 ist nicht das, was wir uns unter zukunftsfähig vorstellen.
Der Plan wurde über eine lange Zeit von der Verwaltung vorbereitet. Der Kommunalbefragung und dem Beschluss über das Eckpunktepapier zu den inhaltlichen Schwerpunkten des Plans, folgten intensive Diskussionen zu den Einzelpapieren, die abschließend in den Text und die Karte des neuen Regionalplans mündeten.
Zu einzelnen Schwerpunkten wurden Gutachter bestellt und Workshops durchgeführt. Das war insbesondere beim Thema Gewerbeflächen der Fall. Dort wurde ein Gutachten bei der Prognos AG in Auftrag gegeben – man wollte sich dem Thema „objektiv“ nähern. Ziel war es Gerechtigkeit bei der Verteilung von Gewerbeflächen zwischen den Kommunen herzustellen. Das wollten wir Grünen auch, deswegen fanden wir die Herangehensweise anfangs auch richtig. Der Begleitarbeitskreis, der die Gutachter von Prognos unterstützte, bestand sehr einseitig nur aus Vertretern der Wirtschaftsförderungen der Landkreise, IHK`s, Handwerkskammern, Regionalmanagement, Hessen Agentur, HSGB und dem RP – also alles Institutionen, bis auf den RP, die an einem „Mehr“ an Fläche ein Interesse haben.
Als das Gutachten im Dezember 2019 vorgelegt wurde, folgte bei uns Grünen das böse Erwachen: Die Annahmen, auf denen das GIFPRO-Modell (Gewerbe- und Industrieflächenbedarfsprognose) beruhte und damit das Gutachten, waren die Annahmen des letzten Jahrhunderts. Das Gutachten zementierte ein „weiter so“ im Bereich Gewerbeentwicklung. Das bedeutet: Immer mehr Flächenversiegelung, weil Wachstum im gleichen Maß unterstellt wird, eher noch verschärft durch den „Überschwappeffekt“ aus dem Rhein-Main-Gebiet. Dort ist eben alles schon so zugebaut, dass große Gewerbeansiedlungen, wie z.B. Logistikzentren, bei uns umgesetzt werden müssen – auch wegen des Preises für den Boden, der hier noch geringer ist. Egal war dabei für die Prognos AG, aber auch für die anderen Fraktionen in der Regionalversammlung, dass Boden ein endliches Gut ist. Ebenfalls nicht aufgefallen ist wohl, dass wir mittlerweile mitten im Klimawandel leben. Und dass Beides miteinander zu tun hat.
Im Jahr 2019 war ich in Lich mit dem Förster im Wald. Die Schäden an den Bäumen hielten sich in seinem Wald in Grenzen. Seine Erklärung: „Der Wald an dieser Stelle steht auf dem guten „Wetterauer Lößboden“, der kann das Wasser besser halten, als die schlechteren Böden im Norden und Osten unseres Landkreises.“ Die Bäume waren einfach besser versorgt, auch im Dürresommer 2018. Dasselbe Bild bei den Ernteschäden im Sommer 2018 im Landkreis Gießen: Alle hatten Einbußen, aber dort wo die guten Böden liegen, in Langgöns und Linden z.B., gab es keinen Totalausfall, sondern 80-90% des Normalertrags – anders als dort, wo die Böden schlecht sind.
Das interessiert die Regionalversammlung und die Gutachter von Prognos aber gar nicht. Es geht bei der Lage für Gewerbegebiete der größeren Art nur darum, dass sie verkehrsgünstig gelegen sind. Die Bodenwerte spielen bei der Lage der Gebiete keine Rolle.
Das Gutachten bildet vier unterschiedliche Szenarien ab – das Szenario mit dem niedrigsten Bedarf sieht eine hohe Wiedernutzungsquote von Flächen – man kann auch sagen Gewerbeflächenrecycling – vor. Das hätten wir gern gewollt, aber natürlich suchten die anderen Fraktionen das Szenario mit dem höchsten Flächenbedarf aus, 500 – 650 ha für den endogenen Bedarf bis 2030. Weitere 100 ha wurden als Zuschlag für 10% zurückzuholende Auspendler eingeplant.
Hier ein kleiner Exkurs: Glaubt denn wirklich irgendjemand daran, dass die Menschen, die sehr hochwertige Arbeitsplätze in Frankfurt besetzen, im Dienstleistungsgewerbe dort arbeiten, plötzlich hier in Logistikzentren oder aussiedelnden Handwerksbetrieben anheuern? Die 750 ha wurden dann auf die Gemeinden umgelegt, jede Gemeinde erhielt eine Erweiterungsmöglichkeit bei den Gewerbeflächen. Die Größe richtet sich nach der Einwohnerzahl der Gemeinde, für kleine Gemeinden gibt es mindestens 5 Hektar, auch wenn ihre Einwohnerzahl eigentlich nur einen ha rechtfertigen würde. Es erfolgten weitere Zuschläge für alles Mögliche, ob für den Bahn- oder Autobahnanschluss vor Ort oder als Bonus für interkommunale Zusammenarbeit. Das führt dazu, dass eine Gemeinde wie z.B. Langgöns, die ein großes Gewerbegebiet besitzt und mit Butzbach zusammen den Magna Park mit diversen Betrieben und Logistikzentren betreibt, nun wieder 12 ha Gewerbegebiet ausweisen kann, hinzu kommen noch 27 ha Siedlungsfläche. Langgöns ist kein Mittelzentrum, hat einen Bahnanschluss und liegt an der A 485. Bei interkommunaler Zusammenarbeit kommen noch weitere „Bonusflächen“ hinzu. Langgöns hat Wetterauer Böden (80er Böden) und besitzt das einzige noch nicht im Zusammenbruch befindliche Siedlungsgebiet des Feldhamsters in Hessen. Hinzu kommen noch die Großgebiete für den sogenannten exogenen Bedarf, also den von Investoren von außerhalb, die in Mittelhessen große Gewerbeinvestitionen tätigen wollen, ca. 150 ha. Diese Flächen ballten sich anfangs im Süden des Landkreises Gießen und wurden im Laufe des Prozesses etwas gleichmäßiger über Mittelhessen verteilt – was vielleicht nicht im Sinn von Investoren ist, aber wenigstens etwas „Gerechtigkeit“ bei der Gleichverteilung von Belastungen oder auch zukünftigen Arbeitsmöglichkeiten schafft.
Nicht gerecht aus meiner Sicht ist allerdings die Möglichkeit der Gemeinden sich an der interkommunalen Entwicklung der Großflächen zu beteiligen. Diese Möglichkeit wurde vom Arbeitskräftepotential der jeweiligen Gemeinden abhängig gemacht. Das ist aberwitzig. Eine Stadt wie Laubach, die sowieso schon eine Ungunstlage für Gewerbeentwicklung hat, weil es weder Autobahn- noch Bahnanschluss gibt, darf sich nicht an der Großfläche im Landkreis Gießen beteiligen, aber die Gemeinden, die selbst viele Möglichkeiten haben, schon. Alle reden in diesem Wahlkampf von vergleichbaren Lebensbedingungen in Stadt und Land. Aber Sie hängen das Land weiter ab.
Trotz der Umverteilung der Großgewerbeflächen blieben noch genügend davon im Süden des Landkreises Gießen im Regionalplan erhalten. Die Stadt Gießen wollte aber die ihr zugedachten Flächen in Lützellinden gar nicht haben, auch dank der sehr aktiven Bürgerinitiative. Daraufhin gab es erst Diskussionen, ob sie trotzdem im Plan bleiben sollten – Motto: „Wir zwingen sie zu ihrem Glück“ – dann wurden sie verlagert und dann glücklicherweise doch gestrichen. Interessant ist die Begründung: Es gäbe ja noch genügend andere Großflächen in Linden und in Hüttenberg-Rechtenbach. Die Fläche „Pfaffenpfad“ in Linden soll gemeinsam mit der Stadt Gießen umgesetzt werden, was diese schon mal ablehnte. Trotzdem bleibt sie nun im Regionalplan, 50 ha bester Boden!
Denn gerade im Südkreis Gießen liegen die besten Böden unseres Landkreises!
Boden ist endlich! Neben Siedlungsgebieten und Gewerbegebieten brauchen wir in Zukunft für die Landwirtschaft mehr Flächen für die Nahrungsmittelproduktion. Denn in Dürrejahren, von denen wir nun immer mehr bekommen werden, wird es Ernteausfälle geben.
Wir brauchen aber auch Flächen für Tiere und Pflanzen, für die Biodiversität. Denn neben der Klimakatastrophe ist das Artensterben das große Problem des 21. Jahrhunderts. Um Arten zu erhalten, benötigen sie Fläche, die vernetzt ist. Inselpopulationen sterben aus.
Die Flächenkonkurrenz ist hoch: Aber in diesem Regionalplan muss wieder alles hinter der Ausweisung von Siedlungsflächen zurückstehen. Der Naturschutz ist, wie immer, nicht so wichtig.
Wissen Sie eigentlich, dass in Laubach schon 80% aller Blütenpflanzen im Offenland seit dem Ende des 19. Jahrhunderts ausgestorben sind? Soll das so weiter gehen? Es sterben nicht nur die Insekten und mit ihnen die Vögel.
Biodiversität lässt sich am besten mit dem Jengaturm erklären. Für die, die dieses Spiel nicht kennen: Es ist ein Turm aus vielen Bausteinen, die ineinander gesteckt sind. Man zieht immer einzelne Steine hinaus, vergleichbar der einzelnen Art, die stirbt. Je mehr Steine man hinauszieht, um so instabiler wird das Ganze. Irgendwann fällt der Turm in sich zusammen. Es geht nämlich nicht nur um den niedlichen Feldhamster, sondern um unsere Nahrungsgrundlagen. Vielfalt ist überlebensnotwendig.
Während beim Gutachten der Prognos AG immer alles sakrosankt war und als objektiv bezeichnet wurde, war das beim naturschutzfachlichen Gutachten von TNL leider nicht der Fall.
Der Landesentwicklungsplan gibt eine Vernetzung der Strukturen vor, die im Naturschutz wichtig sind, den Biotopverbund. Das Gutachten von TNL schlägt hier verschiedene Biotopverbünde vor und aggregiert sie. Trotzdem wurde der Verbund des „Gehölzstrukturierten Offenlands“, das die Steuobstgebiete, aber auch Heckenstrukturen u.ä. umfasst, herausgestrichen. Es war nicht sakrosankt, obwohl gerade dieses Netz die wertgebenden Strukturen unserer Offenlandgebiete umfasst. Streuobst ist nicht nur hübsch und nett anzusehen, es ist eines der gefährdetsten Biotope überhaupt. Es prägt gerade unsere Region und es ist die Heimat vieler, mittlerweile sehr seltener Lebewesen, wie z.B. verschiedener Spechtarten, ich nenne hier den Wendehals, oder Fledermausarten, die sämtlich gefährdet sind. Und es ist die Heimat der Blütenpflanzen im Offenland. Trotzdem wurde dieser Biotopverbund nicht in den Plan übernommen – er stört offenbar die Siedlungsentwicklung zu sehr.
Alle Biotopverbundflächen, die zwischen den eigentlichen Schutzgebieten liegen und sie verbinden, sind leider nur Vorbehaltsgebiete für Natur- und Landschaft, keine Vorranggebiete.
Auch die Feldflurprojekte der hessischen Landesregierung zum Schutz von Rebhuhn und Feldhamster und anderen bedrohten Arten der Feldflur, wie der Feldlerche, dem Feldschwirl und dem Feldsperling sind nur Vorbehaltsgebiete. Das heißt, dass sie immer den Siedlungsgebieten und Verkehrswegen weichen mussten und auch in Zukunft weichen werden. Das heißt auch, dass wir Steuergeld in den Erhalt von Arten stecken und sie dann zubetonieren. Der Plan wirkt so schön grün, aber in Wahrheit ist er es nicht wirklich.
Insgesamt ist uns der erlaubte Flächenverbrauch für Gewerbegebiete und Wohnsiedlungen zu hoch. Zwar sind die Vorranggebiete Siedlung Planung gegenüber dem Regionalplan 2010 deutlich reduziert. Allerdings werden hier Äpfel mit Birnen verglichen: Im letzten Plan waren alle Flächen zu sehen. Im aktuellen Plan dagegen nicht. Die Flächen, die alternativ ausgewiesen werden können, weil Flächen für die Landwirtschaft zurück genommen wurden, sind nicht sichtbar in den Zahlen. Das führt dazu, dass vermutlich genauso viel mit Wohnsiedlungen zugebaut werden kann und wird, wie in der letzten Dekade. Evtl. sogar mehr, weil der Zuzug nach Mittelhessen gestiegen ist.
Über eine stärkere Verdichtung redet eigentlich niemand mehr. Auf dem Land bleibt das Einfamilienhaus auf großem Grundstück der Regelfall der Siedlungsentwicklung. Die Häuser werden größer, die Flächen nicht kleiner. Wohneigentum ist auch als Doppelhaushälfte oder Reihenhaus möglich – das hilft vielleicht auch gegen die Ausbreitung von sogenannten Schottergärten.
Aber auch in Kapiteln, die nicht direkt etwas mit der Siedlungsentwicklung zu tun haben, gibt es Aussagen, die so wirken, als seien sie aus der Zeit gefallen: „Aus Grundwasserkörpern soll nur soviel Wasser entnommen werden, dass – auch unter Berücksichtigung der Auswirkungen des Klimawandels – Beeinträchtigungen von grundwasserabhängigen Ökosystemen vermieden werden können. Die Grundwasserneubildung soll gefördert werden.“ Das ist ein Grundsatz, kein Ziel des Regionalplans.
Wir haben beantragt, diesen Grundsatz zum Ziel hochzustufen den Wortlaut folgendermaßen zu verschärfen: „Aus Grundwasserkörpern darf nur soviel Wasser entnommen werden, dass – auch unter Berücksichtigung der Auswirkungen des Klimawandels – Beeinträchtigungen von grundwasserabhängigen Ökosystemen vermieden werden können. Die Grundwasserneubildung muss gefördert werden.“
Das allerdings wollten die anderen Fraktionen nicht. Wir hätten doch gar keine Möglichkeit der Einflussnahme hieß es da, deswegen könne aus dem Grundsatz kein Ziel werden. Aber wer gibt denn die Erlaubnisse zur Wasserförderung: Das Regierungspräsidium.
Wir alle wissen spätestens seit 2018, das ein „soll“ in Zukunft nicht reichen wird. Mittelhessen steht in Gefahr im Klimawandel zum Dürregebiet zu werden. Vielen von Ihnen ist das sicher nicht so bewusst. Aber acht der letzten 10 Jahre haben in Mittelhessen zu wenig Regen gebracht, um den Grundwasserspiegel wieder aufzufüllen. Die OVAG versorgt das Rhein-Main-Gebiet mit Wasser, 48% des dortigen Wassers kommt aus Mittelhessen. Natürlich ist in Frankfurt, aber auch bei uns ein Umdenken beim Wasserverbrauch notwendig, aber auf unserer Ebene berufen wir uns mal wieder darauf, dass wir da ja nichts zu sagen haben. Auch einfach mal ein Zeichen setzen ist schon zu viel für diese Regionalversammlung.
Beim Verkehr dagegen schreiben wir Vorgaben in den Regionalplan, der, wenn der Nahverkehrsplan für den Landkreis Gießen aufgestellt wird, noch nicht einmal gelesen wird. Da haben VGO und RMV das Sagen, das hindert uns aber auch nicht, in den Raumordnungsplan solche Dinge hineinzuschreiben, wie:
„Um die Erreichbarkeit des jeweiligen Mittelzentrums, bei kooperierenden Mittelzentren beider, zu gewährleisten, sind für jeden Ortsteil ab 200 Einwohnern
->mindestens 3 Fahrtenpaare pro Werktag (zum Mittelzentrum und zurück)
->mit maximaler Fahrtzeit von 45 Minuten mit dem ÖPNV
zu gewährleisten.“
Glaubten Sie im Ernst, dass es 3 Fahrtenpaare am Tag aus Röthges (400 Einwohner) nach Laubach, Lich und Hungen gibt? Aus diesem Ortsteil gibt es noch nicht einmal eine Linie im Schülerverkehr an eine staatliche Oberstufe. Zu sagen haben wir als Regionalversammlung da sicher nichts.
Zeichen setzen wir nur, wenn es darum geht, ob die Räume rund um Mittelzentren vom Landesgesetzgeber aus unserer Sicht nicht richtig zugeordnet werden. Wenn es um die Wasserentnahme in Mittelhessen geht, sind wir lammfromm. Das überlassen wir dann Bürgerinitiativen wie der Schutzgemeinschaft Vogelsberg.
Der ganze Plan ist eine Fleißarbeit. Dafür möchte ich der Verwaltung auch ausdrücklich danken – denn ohne Sie würden wir überhaupt keinen Plan aufstellen.
Allerdings ist er kein großer Wurf, er atmet das „weiter so“, er beruht auf den Gegebenheiten des vergangenen Jahrhunderts. Dabei leben wir in Zeiten wo jede und jeder den Mut aufbringen muss zur Veränderung. Wir haben nicht die Möglichkeit einfach so weiter zu machen wie bisher und hier und da kleinere Verbesserungen umzusetzen. Dazu lässt uns der Klimawandel keine Zeit.
„Die reinste Form des Wahnsinns ist es, alles beim Alten zu lassen und gleichzeitig zu hoffen, dass sich etwas ändert.“ Albert Einstein